Hannah in Indien

Ein weiterer strassenkinder.de Blog

Alltag

In Mails werde ich oft gefragt, ob ich nicht etwas über meinen Alltag schreiben kann und ich muss sagen: nein, kann ich nicht! Nicht weil ich nicht will, sondern viel mehr, weil ich nach drei Monaten aufgegeben habe zu hoffen, irgendwann so etwas wie Alltag zu erleben.
Doch trotz stetigem Arbeitswechsel, besonderer Events oder einem nicht abzureißen scheinenden Besucherstrom, versuche ich hier mal meinen „Alltag“ zu beschreiben.

Zwischen 5.30 und 6.00 Uhr
Aufstehen! Die Jungs müssen immer um 5.45 Uhr raus um Morgensport zu treiben, aber ich drücke mich und mache mich lieber in Ruhe fertig.

6.30 Uhr
Die erste study-time. Hier bin ich dafür verantwortlich, dass die Jungen lernen und ihre Hausaufgaben machen, was oft gar nicht so leicht ist. Gerade die Jüngeren würde die Zeit so viel lieber zum Basteln und Malen nutzen und die Größeren versuchen schon mal, auf den Bänken ein bisschen Schlaf zu kriegen, aber daraus wird nichts!

7.15 Uhr
Messe! Nach der study-time quetschen sich dann 60 Jungen und vier Salesianer in die kleine Hauskapelle und feiern gemeinsam einen wirklich schönen, kindgerechten Gottesdienst. Es wird viel, laut und vor allem falsch gesungen und die Interpretation des Evangeliums von den Kindern, ruft schon mal den einen oder anderen Lacher hervor.

8.00 Uhr
Nach der Messe werden die morning-jobs verteilt. Der Hof und die Gebäude werden bis in jede noch so kleine Ecke gründlich gefegt und geputzt, die Hasen und Vögel gefüttert und mit dem Wasser, das eigentlich zum Hof putzen gedacht war, kleine Schlachten geführt. Über alledem wacht zeitungslesend unser Chef.

8.20 Uhr
Löwenfütterung. Sobald die Glocke klingelt rennen alle los, stellen sich in zwei Reihen auf, haken das Gebet mit einem halb verschluckten Singsang ab und stürmen dann los, um sich die besten Plätze vor den überdimensionalen Töpfen zu ergattern. Ich sitze dabei, schneide Grimassen und erfreue mich an den Grimassen oder den Liebesbekundungen anderer Art (ein Grinsen, eine Insidergeste oder ein herzerwärmendes Lächeln) die zurückkommen.
Wenn sich die Kinder um 8.45 auf den Schulweg machen, gehe dann auch ich mit den Salesianern frühstücken.

9.30 Uhr
Hier hängt es jetzt von dem Wochentag ab was ich mache.
Montag: Nach der Mitarbeiterrunde im Hof mit allen Child Line und Drop-out Mitarbeitern schwinge ich mich aufs Rad und fahre zum New Busstand. Dort verbringe ich den Vormittag im Child Line Office, in dem rund um die Uhr ein Sozialarbeiter sitzt, der regelmäßig seine Runden durch den Busbahnhof dreht und dabei Ausschau nach Straßenkindern hält. Hat er eines gefunden, so bringt er es in sein Büro, nimmt ein paar Daten auf und schickt es dann weiter ins Anbu Illam in den Shelter.
Dienstag: Den Vormittag verbringe ich in der Vorschulklasse einer englischen Schule. Die drei bis vierjährigen Jungen und Mädchen müssen schon wie bei uns die Schulkinder still sitzen und lernen, aber es macht wirklich Spaß kleine Lerneinheiten zu übernehmen. Sie lernen zwar gerade erst Englisch, aber das ist umso besser für mich, dann kann ich mit ihnen ganz von vorne anfangen!
Mittwoch: Mittwochs bin ich genauso wie Dienstags in der Schule, bin bei den kleinen Kindern und bringe ihnen kleine englische „Actionsongs“ bei („Head and schoulders, knees and toes…“)
Donnerstag: Heute geht es mit dem Rad ans andere Ende der Stadt. Hier führen die Franziskanerinnen, in Kooperation mit den Salesianern Don Boscos, eine Nähschule für junge Frauen, hauptsächlich aus den Slums. Um die Damen nicht zu sehr zu stören, dachten Charlotte und ich uns, könnten wir uns doch nützlich machen und haben angeboten Englisch zu unterrichten. Seit dem versuchen wir jeden Donnerstag den Frauen die zum Teil selbst schon Mütter sind, das ABC näher zu bringen.
Freitag: Freitags läuft noch einmal das gleiche Spiel wie dienstags und mittwochs: Gedichte lernen mit den aller Kleinsten.

13.00 Uhr
Mittagessen! Wieder in Anbu Illam gemeinsam mit den Salesianern gibt es dann Reis mit allen möglichen Beilagen.

14.00 bis 16.50 Uhr
Die Nachmittage habe ich frei. Doch wirklich viel Freizeit bleibt nicht. Ich bereite den Englischunterricht vor, bastele Adventskalender für die Kinder oder schreibe Blogeinträge ;). Bleibt doch mal etwas Zeit übrig, so mache ich mich wieder auf den Weg und entdecke Salem, eine wahnsinnig faszinierende Stadt!

Donnerstag
Einmal die Woche fahren Charlotte und ich für den Nachmittag zum Adivaram, dem Waisenheim für die ganz Kleinen. Das heißt um 15.00 Uhr hier losfahren, damit wir pünktlich da sind wenn die kleinen aus der Schule kommen. Dann wird erst mal eine Runde Aufmerksamkeit geschenkt, Fußball gespielt und Tee getrunken. Nach gut 2 Stunden mit den Süßen fahren wir dann wieder zurück.

16.50 Uhr
Wenn die Anbu Illam Jungen von der Schule nach Hause kommen, gibt es Tee und eine Kleinigkeit zu Essen. Danach beginnt für die meisten von ihnen der schönste Teil des Tages: Games! Das heißt für die Kleinen Squarball (bei uns auch unter Völkerball bekannt) und für die großen Volleyball. Je nach Laune spiele ich bei den einen oder den anderen mit, oder schaue einfach zu und kümmere mich nebenbei um die Kranken, die nicht mitspielen dürfen/können. Die Games enden um 18.00 Uhr, dann geht es zum Duschen und ich kann mich noch eine halbe Stunde entspannen bis die nächste study-time ansteht.

18.30 bis 20.00 Uhr
study-time/ Englischunterricht! Abends wechseln Charlotte und ich uns immer ab wer die study-time beaufsichtigen muss und wer mit den Kindern Englisch macht. Mittlerweile haben wir angefangen die Kinder einzeln zu unterrichten, um sie bestmöglich zu fördern, denn die Wissensunterschiede sind einfach zu groß! Mit dem einen Jungen aus der 9. Klasse übe ich das ABC und mit dem anderen aus der 7. Klasse mache ich Question-tags.

20.00 Uhr
Nachrichten! Wenn es gerade Strom gibt dürfen die Kinder die Nachrichten im Fernsehen sehen. Danach gibt es Essen.

21.00 Uhr
Good-night-talk! Zwischen Essen und good-night-talk tollen die Kinder im Hof herum. Das ist vielleicht die schönste Zeit des Tages, denn dann habe ich Zeit mit den Jungen Fangen zu spielen und mich wirklich mit ihnen zu unterhalten. Der good-night-talk ist dann eine Geschichte, die jeden Abend einer der Salesianer oder einer von uns Volontären erzählt. Die Geschichte sollte eine Moral haben, die dann auch immer noch vor den Kindern erörtert wird, damit die Kinder auch ein paar Werte vermittelt kriegen.
Danach ist ein letztes Mal Zeit zum Studieren, bis es dann um 22.15 Uhr für alle heißt: ab ins Bett!

Vorheriger Beitrag

Zitat November

  1. Maria Marigi Lorenz

    Liebe Hannah,
    dein Bericht ist ja wunderschön, und ich danke dir von Herzen. Ja, es ist Alltag, weil es alle Tage so ist, aber anscheinend gibt es zusätzlich zu diesem intensiven Programm noch viele weitere Überraschungen.
    Aber es hört sich an, als seist du wirklich froh und ausgefüllt, angestrengt sicherlich, aber erfüllt.
    Ist das so?
    Ich wünsche dir eine ganz gute Zeit bis Weihnachten, und auch ein paar kleine cookies, die du bestimmt teilen wirst, wie wir deine Großzügigkeit kennen.
    Ganz herzliche Grüße, ganz mit dir verbunden…
    Marigi

Schreibe einen Kommentar

Ich stimme zu, dass meine Angaben aus dem Kommentarformular zur Beantwortung meiner Anfrage erhoben und verarbeitet werden. Hinweis: Sie können Ihre Einwilligung jederzeit für die Zukunft per E-Mail an info@donboscomission.de widerrufen. Detaillierte Informationen zum Umgang mit Nutzerdaten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Läuft mit WordPress & Theme erstellt von Anders Norén