„Ot cent caaa, Mariaa!“, schallt es über den Schulhof bis in mein Zimmer um einiges lauter als mein Wecker, der nur müde vor sich hinsummt. Pünktlich zum zweiten Mai geht der Unterricht weiter und in der Don Bosco Schule Sihanoukville startet die Mariensaison. Noch vor dem Frühstück tut der Lautsprecher seine Dienste und stimmt jeden mit dieser allzu herzlichen Melodie auf den neuen Tag ein. „Ot cent ca, Maria“ heißt übersetzt ungefähr, „Maria ist single“. Natürlich war ich ganz stolz, mal wieder etwas auf Khmer verstanden zu haben und sang meine neueste Errungenschaft gern mit. Simpel auf den Punkt gebracht: Maria, die Keuschheit und Josef ist halt dazwischengerutscht. Vielleicht war die Story um die berühmte Jungfrau nicht genug und in die Gesangsschleife schlichen sich einige Weihnachtslieder. Mit Mut zu orthographischen Veränderungen kommt in „We wish you a merry Christmas“ auch eine „Mary“ vor.

Als wir am letzten Mittwoch das Fest „Maria, Hilfe der Christen“ mit viel Tamtam, Blumen, Kerzen und noch mehr Marienliedern begingen, war das leider immer noch die einzige Zeile, die ich aufgeschnappt hatte und klinkte mich bei der Kerzenprozession übers Basketballfeld in den Gesang ein. Ich ging also mit zwei Schülerinnen, die textsicher waren und weil jede Mund-, Arm-, Beinbewegung von einer jungen Ausländerin genauestens von den Kambodschanern beobachtet wird, erkannten sie schnell, welche Phrase ich versuchte, zu artikulieren. Die beiden Mädels brachen nur in lautes Lachen aus und brachten mich mit den Worten „Not good, Teachaa!“ zum Schweigen. Wie sich herausstellte, wird in diesem Song, der definitiv meinen Mai geprägt hat, nicht das ledige Dasein der Maria besungen, sondern ein lieblicher Lobpreis auf die gute Gottesmutter ausgesprochen.

Und jetzt sollt ihr mir glauben, dass sich mein Khmer stetig verbessert? Tatsächlich gehört das Bibel-, Kirchenvokabular nur zu ungefähr 1 % zu meinem Wortschatz, doch Alltagsgespräche mit meinen Schülern wachsen von Tag zu Tag. Für manche wäre es sicher vorteilig, würden sie zu mehr Englisch gezwungen werden, doch Fragen zu Dingen, die repariert werden müssen, Medizin, zum Arzt fahren oder ein nettes Wort zum Einschlafen, sind oft schneller auf Khmer gesagt. Glücklicherweise kann ich mir viele Wörter situativ oder durch ihren Klang erschließen. Wenn die Mädels nach der englischen Übersetzung fragen, bin ich oft selbst erstaunt, wie einfach Khmer bzw. spezifisch Englisch strukturiert ist. Ein Ausdruck, an den ich mich erst gewöhnen musste, ist wohl, krank zu sein. In Kambodscha sagt man: „Khnom chuh“  (Ich krank). Daran wird zur Verdeutlichung das Körperteil gehängt, an welchem man Schmerzen hat. „Chuh“ beschreibt demnach: krank sein, sich nicht wohl fühlen, Schmerzen haben und kann von einer Erkältung bis zu einer Blinddarmentzündung reichen. Je mehr ich Khmer lerne und mit den Schülern spreche, desto besser kann ich ihre Fehler in der englischen Sprache nachvollziehen.

Nun aber zurück an den Anfang des fünften Monats im Jahreskreis, der Monat der Liebeleien. Tatsächlich ist zu bemerken, wie viele Schüler nach einem guten halben Jahr enge Freunde in Don Bosco gefunden haben oder zwei Verliebte einen ruhigen Platz zum Erzählen am Rande des Sportplatzes suchen (natürlich nur im Dunkeln). In Kambodscha unterteilt die Mehrheit der Bevölkerung das Verliebtsein in drei Stufen. Wie ich gelernt habe, handelt es sich bei der ersten um den sogenannten „Crush“. Hierbei geht die Liebe von einer Person aus, kommt jedoch von der ausgewählten nicht zurück. Schade. Kommt es zum Vorstoß bis ins Land des gegenseitigen Anlächelns und eventuellem Nachrichtenaustausch, haben wir Stufe zwei, das „Sweetheart“ erreicht. An Stufe drei reichen nur wenige heran. Hier wären wir beim „Boy- oder Girlfriend“ angelangt. Dieses Level impliziert gegenseitige Geschenke, geheime Treffen am Strand, Selfies mit zwei möglichst nah beieinander stehenden Personen und jede Menge Tratsch, in besonderen Fällen auch Hochzeitspläne.

Ihr merkt: ich habe viel dazugelernt im Monat Mai. Was ich in meinen Stunden vermitteln konnte, hat ein wenig stagniert durch diverse Ferien, Feste und Müdigkeiten meiner Schüler. Im Mai gab es in meiner Community einigen Ortswechsel der hier ansässigen Personen. Ein Brother ist zum Studieren nach Australien aufgebrochen, zwei neue wurden nach Sihanoukville gesandt. Zum Abschied meines Lieblingsbrothers organisierten die Schüler einen Ausflug zum nahe gelegenen Wasserfall: Kbal Chay. Auf dem Weg dorthin verlor ich meine Schuhe, gewann aber mehr als genug Freude mit den Schülern. Natürlich stand ein circa 2-stündiges Fotoshooting auf dem Plan, Mittagessen und eine Schwimmstunde im Fluss, der mich das erste Mal seit Monaten wahrhaftig abgekühlt hat. Klares Wasser, eine monströse Dusche, Blumenkränze auf den Köpfen und 50 Handykameras. Wir hatten Spaß.

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Freestyle: Never care!

Freestyle: Never care!

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Lieblings-Alice.

Lieblings-Alice.

Volo-Princess-Team vor den Fluten.

Volo-Princess-Team vor den Fluten.

Zur Verabschiedung von Brother Michael liefen natürlich so einige Tränen. Er hat wundervolle Arbeit geleistet und sich Tag und Nacht um die Schüler gekümmert. Den ersten Videoanruf haben wir bereits erledigt. Er lernt nun eine neue Welt in Melbourne kennen. Es ist Herbst in Australien, davon gibt es „beautiful pictures“. Eine Schülerin war der festen Überzeugung, Michael hätte diese von Google kopiert. Auch Alice und eine andere Volontärin haben sich im Mai verabschiedet. So fehlen zwei wichtige Gesprächspartner, doch bleibt auch mehr Zeit mit meinen Mädels.

See you soon ihr beiden Lieblingsmenschen.

See you soon ihr beiden Lieblingsmenschen.

See ya Brothaa.

See ya Brothaa.

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Zu jedem Abschied gehört eine ausführliche Fotosession – what else?

A confused Brother and too many girls.

A confused Brother and too many girls.

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"I want to hug youuuuuuu."

„I want to hug youuuuuuu.“

Gääääng.

Gääääng.

Zum Geburtstag des kambodschanischen Königs gab es dann Mitte Mai ein verlängertes Wochenende, was ich nutzte, die beiden Volontäre in Vietnam zu besuchen. Auf nach Saigon, eine wunderschön grüne, saubere Metropole, in der viele Dinge ein bisschen zuverlässiger als im verschlafenen Kambodscha klappen. Busse fahren zu geplanten Zeiten, Motofahrer bringen dich ans andere Ende der Stadt, um einen ca. 12 m² großen Computerladen zu finden, in dem du eine langersehnte neue Festplatte kaufen kannst und deinen PC wieder zum Laufen bringst. Saigon war tatsächlich sehr busy und die Vietnamesen sind tatkräftig, es gibt riesige Baustellen und moderne Geschäfte. Es war eine schöne Zeit, mit den beiden Mädels durch die Straßen zu ziehen, kleine Läden und Cafés aufzuspüren, viel Freizeit zu haben und des Abends die vietnamesische Tanzkultur kennenzulernen.

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Für Menschen, die gerade in Asien herumstreunen oder das zukünftig vorhaben, ist Saigon sehr empfehlenswert. Viele Kolonialbauten sind in ihrer Schönheit erhalten geblieben, es gibt diverse Kirchen zum Begucken, das Main Post Office und den Wiedervereinigungspalast. In Saigon leben ca. 15 Millionen Menschen. So viele Einwohner hat ganz Kambodscha. Ho-Chi-Minh-City hat mich fasziniert, ich habe sie als innovativer als Phnom Penh wahrgenommen.  Wie lange ich bereits in Kambodscha weile, war deutlich zu bemerken, als wir durch eine Buchladenstraße Saigons zogen. Ich habe realisiert, in Kambodscha noch kein einziges gebundenes Buch gesehen zu haben. Die Gesangsbücher in der Kirche, Bibeln oder andere „Storybooks“ auf Khmer sind eher heftartig. Viele wichtige Schriftstücke gibt es heute auf Englisch oder Französisch. Dieser Schlag für Literaturliebhaber ist mit der jungen Geschichte des Landes zu erklären. Unter der Schreckensherrschaft der Roten Khmer wurden Schriftsteller, Gebildete als Staatsfeinde dargestellt. Sie flüchteten ins Ausland, so dass bis heute fast keine Literaturszene in Kambodscha zu finden ist. Diese Einstellung zu Bildung zieht sich auch heute noch durch die Gesellschaft, so geriet ein Lehrer an unserer Schule mit seiner Familie in Konflikt, weil er an der Universität studieren wollte. Die Generation der jetzigen jungen Menschen und folgende haben eine große Aufgabe zu erledigen: einerseits die verbliebene Kultur ihres Landes bewahren, andererseits sich für andere Einflüsse öffnen und großes Interesse an Fortschritt und neuen Ideen zeigen.

In der nächsten Woche machen sich die Schüler der Hotelschule auf nach Siem Reap, so dass ich ein zweites Mal die Möglichkeit habe, einige Tempel von Angkor Wat zu bestaunen. Es hat eine abwechslungsreiche Zeit begonnen, ich unterrichte seit dem Weggang der anderen Volontäre mehr als zuvor und schaue mit sehr gemischten Gefühle auf das Ende meiner Zeit in Fernost. Bis dahin gibt es noch einiges zu erledigen und erleben, viele Wassermelonen, Mangos und Kürbis- oder Drachenfruchteis zu verdrücken. Heute Nachmittag schon werde ich meine eigenen Schüler als kleine Lehrer erleben, die Kinder der Umgebung in einer nahegelegenen Pagode am Meer unterrichten.

Gerade erst neue Nachrichten von meiner Familie empfangen, bekam ich zu hören, dass in Europa der Sommer eingesetzt hat und die ersten Urlaubspläne umgesetzt werden. Ich hoffe, es geht euch gut, das Leben beglückt mit frischen Sonnenstrahlen und warmen Badegängen in der mitteldeutschen Seenlandschaft.

Lasst es euch gut ergehen im Schwalle der blumig-hellen Zeit des Jahres.

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Cum reap lia – tschuop knia tschap tschap.

Eure Jule!