Die Kinder von Coimbatore

365 Tage Indien

Shiva, der Junge, der nicht weiß, woher er kommt

Nun bin ich schon zehn Monate  in Coimbatore (Indien) und mein Freiwilligendienst neigt sich langsam dem Ende entgegen . In dieser Zeit als Don Bosco Volunteer habe ich einiges erlebt, das mich wohl mein ganzes weiteres Leben begleiten wird.

Ich möchte euch heute die Geschichte eines Jungen erzählen, dessen Schicksal mich tief bewegt hat. Ich nenne ihn „Shiva“. („Shiva“ ist einer der wichtigsten Götter des Hinduismus)

Shiva, ein ca. 15jähriger Junge wurde in den Straßen von Coimbatore von der Polizei aufgegriffen.  Sie fragen ihn: „Woher kommst du?“ Er antwortete nicht, gab nur Laute von sich. Die Polizei brachte ihn zu uns nach Anbu Illam. Bei uns wurde er ebenfalls nach Herkunft, Familie, Schule ect. gefragt. Auch diesmal konnte er sich nur mit Gebärden und unverständlichen Lauten mitteilen.

Er blieb bei uns im Projekt. Jonathan (mein Mitvolunteer) und ich lernten ihn kennen, nachdem er bereits registriert war, und bei uns Unterkunft gefunden hatte. Shiva hatte eine riesige, auffällige Narbe auf dem Kopf sowie Narben im Gesicht und an beiden Knien.  Durch seine beiden, fehlenden, oberen Schneidezähne, war seine Zunge zu erkennen, die er auffällig nach vorne schob.Dies konnte man sehr deutlich sehen, wenn er uns anlächelte. Ich fragte die für die CWS-Kids Verantwortlichen, wer denn der Junge sei. Keiner kannte ihn. Alle Versuche herauszufinden woher er kam und wer er war, „verliefen im Sande“. Sie sagten, er habe eine Beeinträchtigung und einen niedrigen IQ. Er wusste nur seinen Namen, ansonsten konnte er sich nicht verständigen.

Einige Laute, die er von sich gab, hörten sich an, wie derName eines nahe gelegenen Distriktes.

Man beschloss, ihn dorthin zu bringen. Als man ihn dort fragte, woher er käme und ihm einige Städtenamen nannte, antwortete er auf jeden mit „ja“. Deshalb wurde er wieder zu uns gebracht, da man vermutete, dass er doch aus unserem Distrikt sei. Nach einiger Zeit fand man heraus, dass er Tamil verstand, aber nur einzelne Wörter sprechen konnte.

Da wir täglich mit den CWS-Kids arbeiten, konnten wir in den letzten Monaten erleben, wie sich „Shiva“ veränderte. War er am Anfang teilweise aggressiv, scheu  und verschlossen,  wurde er von Tag zu Tag offener und freundlicher. Über seine Vergangenheit werden wir wohl nie etwas erfahren.

Seine zahlreichen Narben, die er nicht nur körperlich, sondern auch seelisch hat, deuten eine schwere Zeit in seinem Leben. Wahrscheinlich verbrachte er einige Zeit auf der Straße, bevor er zu uns ins Projekt kam. Unser „Watchman“ und andere Angestellten erzählten uns, dass er des Öfteren Essensreste aus der Abfalltonne entnahm.

Mir ist er im Laufe der Zeit ans Herz gewachsen. Jeden Morgen wurde ich von ihm bei der Begrüßung umarmt. Mit ihm hatten wir immer etwas zu tun. Er stritt sich mit anderen Kindern und Jugendlichen, die ihn ärgerten. Besonders glücklich machte ihn das Ballspielen. Man konnte ihm auch einfach einen Ball in die Hand drücken und er beschäftigte sich selbst damit. Er liebte es, Bilder auszumalen, die man vorgezeichnet hatte. Wenn man ihm Aufmerksamkeit gab,  wurde man immer mit einem Lächeln beschenkt.

Sein Lächeln wird mir wohl immer im Gedächtnis bleiben.

Natürlich war von Anfang an klar, dass er bei uns nicht bleiben konnte.

Kinder wie er benötigen eine individuelle Förderung.

Der Abschied fiel uns und dem ganzen Team sehr schwer. Als er abgeholt wurde, wirkte er traurig und war sehr ruhig. Seitdem lebt er in einem für ihn besseren Projekt.

Ein Team aus Angestellten besuchte ihn dort und meinte er habe sich sehr gut eingelebt.

 

Für mich ist dieses Erlebnis ergreifend und ich bin froh, ein Don-Bosco-Volunteer zu sein.

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1 Kommentar

  1. Benedict

    Danke für deinen Beitrag, Fabian. Es klingt, als wäre für Shiva doch noch ein Leben in Würde, mit beglückenden Erfahrungen möglich.
    Alles Gute auch für dich.
    Benedict

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