„Wo wohnst du? Auf der Straße? Hier in Rango? Nti bishoboka! Das ist doch gar nicht möglich! Ich wusste gar nicht, dass es hier Straßenkinder gibt.“

Genau diese Aussage hat Valentina neulich gehört, als sie mit einem der Straßenkinder beim Arzt war. Die Frau, die den Jungen mit starken Zahnschmerzen und ohne Versicherung gesehen hat, war ernsthaft überrascht.

Straßenkinder in Rango. Es ist tatsächlich so, dass viele Menschen nicht wissen, dass es diese Kinder gibt. Wenn die Kinder abends und nachts nicht gesehen werden wollen, dann sieht man sie auch nicht. Wie kleine Schatten passen sie sich der nächtlichen Umgebung an, schlafen unter Plastikplanen vor Hausvorsprüngen, hinter steinernen Straßenschildern oder in Lagerplätzen für Fahrradreifen. Immerhin besteht auch die Gefahr, von der Polizei erwischt zu werden, mit Folgen, die alles andere als schön wären. Straßenkind-Sein ist mehr oder weniger verboten. „Umerziehungshäuser“, die Einrichtungen, in die die Kinder von der Polizei gebracht werden, werden von den Kindern als Gefängnisse bezeichnet. So kommt es, dass die Kinder Meister darin sind, sich zu verstecken, sodass selbst viele Einwohner des eher beschaulichen Dorfes Rango nicht von ihrer Existenz wissen.

Für Valentina und mich ist es nicht Neues, dass es hier Straßenkinder gibt. Tagtäglich arbeiten wir mit Kindern zusammen, die aus unterschiedlichen Gründen auf der Straße leben.

Was sind das für Gründe? Warum leben die Kinder auf der Straße und nicht Zuhause bei ihren oftmals noch vorhandenen Familien?

Eine einfache Antwort auf diese Frage haben wir weder von Eltern, Lehrern, Patern, noch von den Kindern selbst bekommen. Jedes Kind hat seine eigene Geschichte, seine eigenen Erfahrungen und vor allem seine eigenen Gründe, warum es auf der Straße lebt.

Ein paar Beispiele von Antworten, die uns die Kinder auf diese Frage gegeben haben:

„Ich habe Zuhause nichts zu Essen bekommen“

„Meine Mutter hat mich verprügelt“

„Mein Papa trinkt zu viel Alkohol und meine Mutter lebt nicht Zuhause“

„Die neue Frau von meinem Vater mag mich nicht“

„Ich wurde zu Hause rausgeschmissen“

Das Problem mit der nicht vorhandenen Nahrung ist unter all den verschieden Antworten, die meist gehörte. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich Euch sagen, dass es etwas völlig anderes ist, von hungernden Kindern zu lesen, als diese selbst zu sehen. Wenn ein Kind so großen Hunger hat, dass es nicht einmal etwas essen möchte und nur noch am Schlafen ist, ist es für mich immer wieder wie ein Schlag in die Magengrube.

Viele der Kinder leben auf der Straße, weil sie auf der Straße eher etwas Essbares finden als zu Hause. Sie können auf dem Markt helfen und finden eigentlich immer etwas zu essen. Darum wollen viele der Kinder auch gar nicht zurück zu ihren Familien. Sie haben sich an ein Leben auf der Straße gewöhnt, was ihnen neben all den Schwierigkeiten, Einschränkungen und Gefahren doch eine gewisse Freiheit bietet, die sie Zuhause nicht genießen können. Sie können essen, was und wann sie wollen. Sie müssen nicht ihren Eltern helfen. Sie können schlafen wo sie wollen, mit Freunden zusammen sein, Schule schwänzen und das tun und lassen, worauf sie gerade Lust haben. (Duschen, Waschen und Lernen gehört leider sehr selten dazu). Diese angewöhnte Freiheit erweist sich also auch als großes Problem. Gerade wenn man versuchen möchte, die Kinder wieder in ein strukturieteres Leben einzugliedern. In Butare selbst, der nächstgrößeren Stadt in 30 Minuten Fußmarsch Entfernung, gibt es ein Straßenkinderprojekt, wo die Kinder schlafen und lernen können, Essen sowie Kleidung bekommen und herzlich eingeladen sind. Viele unserer „Rango-Straßenkinder“ waren schon einmal in diesem Projekt. Jedoch erwies sich die angewohnte Freiheit als Problem, der strukturiertere Tagesablauf mit Regeln und Pflichten hatte doch zu viele Negativ-Eigenschaften, sodass viele der Kinder nach nicht einmal einer Woche wieder auf der Straße anzutreffen waren. Dazu kommt, dass die Kinder dort nur eine befristete Zeit von ca 1 Jahr bleiben können.

So makaber es sich anhört, die meisten Kinder sind zufrieden mit ihrer jetzigen Situation und wollen sie auch gar nicht verändern. Doch, was ihnen fehlt, ist eine Perspektive, eine Zukunft. Oftmals fragen wir uns: „Was wird in drei Jahren aus diesem Jungen geworden sein, der seine Tage auf dem Markt in Rango verbringt und die Nächte draußen in verstecken Ecken schläft? Der weder zur Schule geht noch sonst irgendeine Chance auf eine Berufsausbildung hat? Und der dazu noch gerne etwas bei anderen Personen mitgehen lässt?“ man es nicht. Auf diese Fragen haben wir keine konkrete Antwort, aber wahrscheinliche Antworten machen uns, um es kurz zu halten, Angst.

Ohne Bildung werden die Kinder ihr Leben lang ausgenutzt werden. Durch mangelnde Hygiene werden die Kinder krank. Durch fehlende Krankenversicherungen können sie sich einen Arztbesuch und beispielsweise dringend benötigte Malariatabletten nicht leisten.

Was wollen und können wir also tun, um die Kinder in ihrem Alltag zu unterstützen?

An vielen der genannten Punkte arbeiten wir schon. Jedoch haben wir einen neuen Plan aufgestellt, um etwas mehr Struktur und Übersichtlichkeit in unsere Arbeit zu bringen. Wie viele von Euch wissen, sammeln wir Spendengelder. Neben unseren Eigenbeitrag von 1800€ (der nebenbei bemerkt schon zustande gekommen ist. Vielen Dank!), fließt nun sämtliches Geld in die Arbeit mit den Kindern. Über unser Spendenkonto könnt auch ihr uns bei unserer Arbeit unterstützen. Durch viele Kleinigkeiten versuchen wir das Leben der Kinder zu erleichtern. Aber auch Kleinigkeiten summieren sich zu einem großen Projekt. In folgenden Punkten werden die Gelder eingesetzt:

  1. Mit Hilfe des Projekts möchten wir den Kindern einmal im Monat (Sonntags) eine warme Mahlzeit ermöglichen. So sollen sich die Kinder wenigstens an einem Tag keine Gedanken um die Nahrungsbeschaffung machen müssen und einfach mal Kind sein können. So wollen wir die Straßenkinder auch auf unsere Möglichkeiten hier aufmerksam machen und sie zum waschen und Lernen animieren. Eine kleine Testphase hat schon gestartet, die bei den Kindern auch sehr gut angekommen ist. Seht selbst:P1070050P1070193IMG-20170607-WA0006
  2. Zwar können wir den Kindern keine Unterkunft bauen, aber mit Hilfe eines Schrankes mit Schließfächern können wir den Kindern einen kleinen, privaten Platz zur Aufbewahrung persönlicher Dinge zur Verfügung stellen. Zur Zeit ist der einzige materielle Besitz, den die Kinder haben, das, was sie am Leibe tragen. Deshalb tragen sie oft zwei Hosen übereinander, die dann beide im Regen nass werden.
  3. Abends sind die meisten Kinder mit oft kleinen „Weh-Wehchen“ da. Am besten hilft da eine Tasse Tee, damit man von Innen gewärmt nach Hause gehen kann. Das ist kein Kostenfaktor und schnell zubereitet, die Wirkung dafür ist umso größer. 3
  4. Mangelnde Hygiene ist ein Problem, was sich vor allem durch weite Teile der ärmeren Bevölkerung zieht. Damit verbunden sind viele Krankheiten, die durch eine regelmäßige Dusche verhindert werden könnten. Diese Dusche steht uns durch das VTC von nun an allein für die Straßenkinder zur Verfügung , weil die Dusche von den Lehrern nicht genutzt wurde. Dazu kommen allerdings Kosten für Seife, Schwämme, Medikamente gegen Hautkrankheiten und Instandhaltungskosten  P1070293
  5. Immer wieder kommen Kinder zu uns, die krank sind, aber niemanden haben, der sich um die kümmert und sich keinen Arzt leisten können. Dabei kostet eine Krankenversicherung für eine Familie pro Kind 3000 Rwf (3,45€) im Jahr. In die Krankenversicherung sind Arztkosten und Standartmedikamente eingebunden. Als große Gruppe könnten die Kinder eine „Familie“ bilden und wir könnten ihnen die Krankenversicherung bezahlen                                 4
  6. Einige der Straßenkinder gehen zur Schule, die meisten jedoch nicht, weil man mit Hunger nicht lernen kann. Deshalb versuchen wir so oft wie möglich, die Kinder zum Lernen zu motivieren. Dafür steht uns ein Klassenzimmer im VTC zur Verfügung. Um die Motivation zu steigern, haben wir ein Punktesystem angelegt. Lernen, Duschen und Kleider waschen gibt jeweils einen Punkt. Bei mindestenten gibt es eine Belohnung, z.B. Kleidung von der Caritas, das Essen am Sonntag oder Schuhe, die für die Kinder ein echtes Luxusgut sind.

    6

    1. Schultag im VTC

  7. Die Kinder, die zur Schule gehen, tun dies meist nur unregelmäßig. Es fehlt neben Essen nämlich an einer ordentlichen Schuluniform, dem Geld für die Zeugnisse 3 mal im Jahr, die Haare sind nicht ordentlich geschoren oder es fehlt an Heften und Stiften. Das führt dazu, dass die Kinder wieder nach Hause geschickt oder vom Lehrer geschlagen werden. Da bevorzugen es viele Kinder nicht zur Schule zu gehen. Auch da möchten wir, immer in engem Kontakt und Absprache mit den jeweiligen Lehrern, Unterstützung leisten. So können wir auch kontrollieren, ob die Kinder zur Schule gehen oder nicht. Dafür möchten wir zum Beispiel eine eigene Haarschneidemaschine anschaffen. So können die Kinder nicht mehr sagen, sie gehen nicht zur Schule weil ihre Haare zu lang sind.

    2

    Kindergottesdienst vor dem Essen

Mit diesen genannten Punkten möchten wir die Kinder in ihrem Alltag unterstützen und ihnen eine Anlaufstelle für ihre Probleme ermöglichen. Natürlich hoffen wir, dass die Kinder durch die kleinen Regeln, die Lernstunden und das Zusammensein mit „Nicht-Straßenkindern“ darüber nachdenken, doch nach Hause zurückzugehen oder vielleicht doch in das Straßenkinderprojekt in Butare zu gehen.

Nebenbei wird durch unsere Arbeit mit den Kindern die Aufmerksamkeit der Menschen in Rango auf die Straßenkinder gelenkt. Vielleicht kommt es dadurch dazu, dass ein Gespräch, wie das zu Beginn zitierte nicht mehr stattfindet.

Uns war es sehr wichtig, diesen Artikel zu veröffentlichen und unser Vorhaben mit Euch zu teilen. Vor allem, da viele von euch wissen wollten, wo das Spendengeld eigentlich hinfließt. Sollten dazu trotzdem noch Unklarheiten bestehen, meldet euch bei uns!

Bis dahin alles Liebe und umunsi mwiza (einen schönen Tag), Valentina und Lina

IMG_8190