Meine Berufung – Bzw. das Leben in der Gemeinschaft mit 6 Priestern und einem Bruder

Ja, ihr wisst es mittlerweile: Jeden Morgen um 5:45Uhr startet mein Tag mit einem Gebet und einer Messe. Sonntags dauert diese auch gerne über 2 Stunden. Dann abends um halb 7 nochmal 40 Minuten Gebet. Samstags zusätzlich mit Rosenkranz, sonntags mit Adoration = „Hostienanbetung“, sonst nur mit spiritueller Lektüre und Abendwort. Und habe ich euch in letzter Zeit vielleicht zum Namenstag gratuliert? Bei den Gebeten wird nämlich jeder Heilige mitgenommen, den man irgendwie feiern kann. Dadurch werden die großen Feste natürlich noch größer gefeiert. Über die 4 Ostertage, von Gründonnerstag bis Ostersonntag, haben wir insgesamt 16 Stunden in der Kirche verbracht. Aber es geht noch krasser: Am Weißen Sonntag, dem Sonntag nach Ostern, haben wir unseren Rekord gebrochen: 6 Stunden Messe am Stück (nein Papa, da wird keine Pause gemacht!) auf einem Feld in dem ca. 2 Stunden entfernten Ruhango. Gemeinsam mit ca. 80.000 anderen Menschen wurden dort all unsere Krankheiten geheilt. Das toppt damit sogar den einzigen Marienwallfahrtsort in Afrika: Kibeho, wo wir im November zum Jubiläum der Marienerscheinung Messe mit 111 Priestern gefeiert haben.  In der Christmette am Ostersamstag haben Valentina und ich außerdem jeweils eine der 7 Lesungen auf Kinyarwanda gehalten. Letzten Sonntag wurden wir spontan (das heißt 10 Minuten nach Beginn der Messe) dazu erkoren, beim Kollekte sammeln zu helfen. Das wird in einer Messe sogar 2 Mal gemacht. Wir sind also auch richtig aktiv in der Gemeinde. Das „Vater unser“ kann ich auf Kinyarwanda im Schlaf, das „Gegrüßet seist du Maria“ auf Französisch besser als auf Deutsch. Sogar meinem Visum nach bin ich eigentlich als Missionarin in Ruanda.

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Messe und Gebet zur Krankenheilung in Ruhango mit 80.000 Menschen

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Also vielleicht eine berechtigte Frage, die ich sehr häufig höre: Bist du eine Schwester? Oder willst du eine werden? Schließlich ist es auch in Deutschland nicht normal, so eng in das Leben einer Ordensgemeinschaft integriert zu sein. Und dazu ist es hier in Ruanda umso normaler, Schwester zu werden. Aber ist es das Wert seine persönliche Freiheit soweit aufzugeben, um eine sichere Zukunft in einer Ordensgemeinschaft zu haben? Um sein Leben ganz Gott hinzugeben? Kann ich dafür in Kauf nehmen, jeden Tag beten zu müssen, nicht selber entscheiden zu können, wann es Essen gibt und wann und wie lange ich wegbleibe?

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Ihr merkt also, dass in Ruanda allgemein Kirche eine große Rolle spielt. Vor dem Genozid 1994 war der Großteil der Bevölkerung katholisch. Heute gibt es neben den Katholiken viele Adventisten, Protestanten, Muslime und andere Konfessionen. An Naturreligionen wird im Vergleich zu anderen afrikanischen Ländern wenig geglaubt. Doch auch hier in Ruanda gibt es Hexer. Zwei unserer Straßenkinder trauen sich zum Beispiel nicht mehr nach Hause, weil ihre Großmutter eine Hexe sei und sie Angst haben, dass diese sie tötet. Auch unseren letzten Aspiranten (=1.Schritt um in den Orden einzutreten) haben wir mittlerweile verloren, weil sein Patenonkel ein Hexer ist. Dieser kann angeblich nur Familienmitglieder sozusagen „wireless“ (wie es unser Direktor genannt hat, und so viel heißen soll wie ohne Berührung), umbringen. Diese Angst hat bei unserem 2. Aspiranten dazu geführt, dass er manchmal sogar nachts um 4 Uhr in die Kapelle zum Beten kam. Dadurch wurde er als nicht geeignet empfunden, Salesianer zu werden. Neben den Katholiken haben wir unsere ganz eigene Erfahrung mit den Pentacoast gemacht: Das Ende der Geschichte: Valentina und ich schreien (in der Fastenzeit) der kleinen Gemeinde in der Kirche in einem Hinterhof lauthals „ALLELUIA“ entgegen und bekommen ein noch lauteres „AMEN“ zurück. Beim 3. Mal musste ich mich sehr zusammenreißen, nicht in einem Lachkrampf zu enden.

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Unsere Kapelle in der Kommunität

Paroisse

Die Kirche unserer Gemeinde in Rango

 

Aber nun zurück zu den etwas ruhigeren Katholiken: Es ergab sich, dass der 4. Sonntag nach Ostern dem Sonntag der Berufung oder dem guten Hirten gewidmet ist. Also habe ich den ganzen Sonntag auf meine Berufung gewartet. Doch selbst im sonntäglichen Bier (wie es mir ein Priester geraten hat), habe ich meine Vokation (=Berufung auf Französisch) leider nicht gefunden. Die Antwort ist und bleibt also ein klares Nein!, ich werde keine Schwester. Außer ich bekomme von Jugendlichen aus dem Oratorium einen (meist nicht ganz ernst gemeinten) Heiratsantrag, dann sage ich Ihnen gerne, dass ich doch lieber Schwester werde.

Genau das ist es aber, was mein Leben in der Gemeinschaft ausmacht: Witze über die Berufung reißen zu können. Also ich fand es zumindest ziemlich witzig. Am Ende wollte mir nur kein Priester mehr erzählen, wie er zu seiner Berufung gekommen ist. Zusammen das ein oder andere Bier zu trinken. Gemeinsam Feste zu feiern. Weltoffen über Themen wie Beichte, Frauen, Pädagogik und Politik reden zu können. Das heißt nicht, dass wir dabei zur gleichen Meinung kommen. Sich auch mal über einander aufregen zu können. Aber wenn es drauf ankommt, füreinander da zu sein. An dieser Stelle also einen großen Dank, an meine Priester und meinem Zimmernachbarn, dem angehenden Priester hier. Wir machen es uns gegenseitig nicht immer leicht, doch ich weiß sehr zu schätzen, wie Ihr Valentina und mich in eure Gemeinschaft aufgenommen habt.

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Hier feiern wir zum Beispiel Valentinas Geburtstag

Leider hat mich die Ablehnung der Berufung in ein Leben nur mit Gott, auch in meiner sonstigen Berufsentscheidung nicht weitergebracht und ich verbringe weiterhin viel Zeit damit, mir zu überlegen, für welches Studium ich mich an welcher Uni bewerbe. Eins steht allerdings fest: Theologie wird es nicht.

Eure Lina, die es also wirklich neben den ganzen Gebeten nochmal geschafft hat, einen Artikel zu schreiben, sendet euch noch liebe Grüße.

Kinder

Der nächste Artikel, über die Verwendung der Spendengelder, folgt in Kürze!
Hier bekommt ihr schon Mal einen ersten Eindruck vom Lernen mit den Kindern.

 

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1 Kommentar

  1. Angelika Müller

    Liebe Lina, sehr interessant, was du schreibst. Wirklich eine ganz andere Welt.Wir haben hier ein sehr schönes Wochenende mit Kloster und Rafaels Konzert. Danke für deine liebe Karte zu Weihnachten, sie kam an Silvester, dem Tag, an dem wir so oft zusammen waren. Dir noch eine gute Zeit und ganz liebe Grüsse Angelika und Oliver

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