Aus dem Leben eines Don Bosco Volunteers

Erfahrungsberichte aus Bolivien by Jana

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Die Geschichten der Kinder

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Heut möchte ich mal über etwas anderes schreiben. Etwas Ernsteres, Intensiveres. Ich möchte euch etwas mitteilen, worüber ich mir jeden Tag aufs Neue immer wieder und immer wieder bewusst werde. Manchmal blende ich es aus, vergesse es und dann ist es plötzlich wieder vor meinen Augen. Heute will ich euch mehr in meine Erfahrungen mitnehmen, euch Geschichten erzählen. Geschichten, die mir in diesem Jahr begegnet sind, Geschichten und Vergangenheiten der Kinder aus dem Projekt Don Bosco Santa Cruz. Es sind Geschichten, die mich bewegt haben, mich berührt und mir teilweise einen eisigen Schauer über den Rücken gejagt haben.

Oftmals, wenn ich die Kinder anschaue, mit ihnen spreche, ihnen in das Gesicht, in die Augen schaue, sehe ich nur ein Kind. Ein Kind, fast wie jedes andere. Vielleicht etwas (viel) aufmüpfiger und übermütiger, ein Kind mit mehreren kleinen Macken. Aber eben nur ein Kind. So oft vergesse ich was hinter diesen Gesichtern steckt, wie viel mehr sich hinter den frechen, wilden Augen verbirgt, was die Gründe für ihr Verhalten und ihre Makel sind. So oft übersehe ich ihre Vergangenheit und ihre Geschichten. Und dann wird mir, von dem einen auf den anderen Moment, wieder bewusst, was diese Kinder schon alles durchgemacht haben, was sie in ihrem kurzen Leben schon alles erlebt haben, durch was sie schon durchgehen mussten. Und auf einmal stehen keine kleinen Kinder mehr vor meinen Augen. Auf einmal sehe ich große, geprägte und unglaublich präsente Persönlichkeiten vor mir. Persönlichkeiten mit vielen Wunden, Rissen und Narben. Persönlichkeiten, die teilweise eingebrochen, in sich zusammengefallen sind, sich verloren haben und auf dem Weg sind, sich selbst wieder aufzubauen und zu stützen, sich wieder herzurichten. Persönlichkeiten, in denen das Leben bereits tiefe Spuren, Kanten und Furchen hinterlassen hat. Ich möchte von diesen Persönlichkeiten erzählen, mit euch Szenen und Vergangenheiten aus dem Leben der Kinder teilen.

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Mittagessen. Alles wie immer. Die Kinder sitzen am Tisch, veranstalten ein leichtes Chaos und warten ungeduldig auf die Oracion, damit sie endlich das Essen beginnen können. Wir schauen nochmal durch die Reihen, um einzuschätzen, ob irgendwo das Chaos in eine Schlägerei ausbrechen könnte. Keine bedrohliche Situation feststellbar. Dafür fällt jedoch etwas anderes auf: Ein Junge fehlt. Nun auch nichts Außergewöhnliches. Da wir es oft mit Ausbrüchen zu tun haben, will ich gleich raus gehen, um zu schauen, ob er sich im Park befindet. Schon beim Verlassen der Tür höre ich ein lautes Geschrei und Eisengeschepper. Mein Blick fällt auf das Tor. Vermisster Junge steht dort, Hände fest um die Eisenstäbe verkrampft, zerrend und rüttelnd am Eisentor. Mit Panik in der Stimme brüllt er undefinierbare Sätze zum Patio hinaus, in die menschenverlassene Straße. Bei genauerem Hinhören kann ich den Wortlaut durch seine Verzweiflung heraushören: „Ich will weg. Ich will hier raus.“ schreit er ins Leere hinein. „Ich will hier nicht sein. Ich werde abhauen. Lasst mich raus!“ Ich nähere mich ihm an, versuche ihn sanft vom Tor wegzubringen. Er steigert sich noch mehr in Rage, schreit noch verzweifelter und rüttelt immer heftiger an dem Tor. Ich setze mich ruhig im Schneidersitz auf den Boden und frage ihn, ob er sich nicht zu mir setzen will. Er wird ruhiger, hört auf panisch zu atmen und zu schreien. Sein Körper verliert jegliche Körperspannung und er sackt in sich zusammen. Da sitzt er nun vor mir. Zusammengekauert wie ein kleines Häuflein Elend. Er fängt an zu zittern, sein Körper bebt unter den unkontrollierten Schluchzern und langsam bahnen sich salzige Tränen ihren Weg hinab über seine schmutzigen Wangen, über seine Lippen. Ich frage ihn warum er denn abhauen will, ob für ihn das Patio wirklich so schlimm ist und ob wir ihn schlecht behandeln. Ich zähle ihm die Nachteile vom Abhauen und dem Leben auf der Straße auf und setze sie im Gegensatz zu den Vorteilen vom Patio: Er hat ein Dach über den Kopf, ein warmes Bett, Essen, Menschen, die sich um einen kümmern, sich um einen Sorgen, Freunde.. Er starrt auf den Boden mit starrem Blick. „Ja, ich weiß, dass sich hier Leute um mich kümmern. Aber wer ist dann für meine Mutter da? Wer kümmert sich um sie? Ich muss mich um sie kümmern, ich muss zu ihr, muss sie beschützen. Ich hab sie immer beschützt. Sie braucht mich. Wer soll sich sonst um sie sorgen, auf sie aufpassen? Lass mich gehen, ich muss zu ihr.“ Er weint noch mehr. Ich frage ihn, vor was er genau seine Mutter beschützen muss. „Vor meinem Vater.. er schlägt sie immer. Und jetzt kann er sie einfach so schlagen. Niemand hält ihn mehr davor ab.“ Ich will von ihm wissen, was passiert, wenn er seine Mutter beschützt, wie sein Vater darauf reagiert hat. Er antwortet mir nicht richtig auf meine Frage, meint nur „ Er muss es doch tun. Sonst schlägt er seine Mutter und das darf er nicht zulassen. Sein Vater muss seine Mutter respektieren.“

Der Junge ist mit seinen beiden Geschwistern ins Patio gekommen. Sie wurden von der Defensoria auf dem Weg von Cochabamba nach Potosí aufgegriffen. Seit sie angekommen sind, konnten schon diverse ungewöhnliche Angewohnheiten festgestellt. So wurden sie schon öfters erwischt, wie sie nackt im Park spielen wollten. Zudem wollen sie sich zu dritt in einer Duschkabine duschen und haben schon des Öfteren dabei durch die Flure „Hay que hacer amor“(Es muss Liebe gemacht werden) geschrien. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die Kinder nicht nur physische Gewalt in ihrem Haus erfahren haben müssen.

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Viele Kinder im Projekt Don Bosco kommen aus Familiendramen. Familiendramen unterschiedlichster Art. Und jedes Mal, wenn ich die Kinder sehe, fällt es mir schwer vorzustellen, dass unser kleines Tanztalent von seinem Stiefvater verprügelt wurde, dass das pummelige, schüchterne Mädchen mit den großen Augen von ihrer Familie sexueller Gewalt ausgesetzt wurde, dass der alberne, stinkfaule und schlaksige Quatschkopf von seiner Mutter geschlagen wurde, so dass die Flucht auf die Straße für ihn als einziger Ausweg, als einzige akzeptable Alternative in Frage kam. Mir fällt es schwer vorzustellen, dass die vier pausbäckigen Brüder von ihrer Mutter einfach im Stich gelassen wurden..

..Sie hat sich einfach von ihnen abgewendet, ist gegangen, hat die Verantwortung abgegeben und sich nicht mehr blicken lassen. Vor kurzem ist sie wieder aufgetaucht, stand vor den Türen des Hogars und wollte ihre Kinder wieder haben. Nach vier Jahren spurlosem Verschwinden. Sie hat ihren Söhnen versprochen sie zu sich zu holen, jedem einzelnen ein eigenes Handy zu kaufen, ein eigenes Tablet und einen eigenen Laptop. Den Prozess um das Sorgerecht hat sie gewonnen und startet jetzt den Plan mit ihren Söhnen nach Brasilien zu ziehen. Ich hoffe nur, dass sie nicht an der widergewonnen Verantwortung scheitert und die Jungs aufs Neue im Stich lässt. In einem fremden Land, mit einer fremden Sprache.

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Genauso wenig will ich mir vorstellen was für eine Familie das sein muss, die ihre eigenen beiden Töchter zwangsprostituiert, sie betrunken machen, damit sie gefügig werden und dann, gegen Geld, mit wildfremden Männern schlafen lassen bzw. dazu zwingen. Kann man so etwas überhaupt noch Familie nennen? Wer tut so etwas seinen leibeigenen Kindern an? Die beiden Mädels haben Zuflucht im Patio gefunden und sind nun in der „Casa de Acogida“ „Mano Amiga“ untergekommen.

Manchmal kommt es auch vor, dass zu uns Kinder aus einer eigenen Gemeinde in der Nähe Santa Cruz` kommen. Den Kindern dort wird nicht nur Gewalt angetan, ihnen wird es auch gelehrt, sie werden darauf getrimmt. Alle Kinder von dort, die bei uns bisher untergekommen sind, waren unglaublich aggressiver Natur, haben bei jeder Kleinigkeit mit Gewalt reagiert. Wir wurden geschlagen, getreten und gekratzt von ihren extra spitzen Fingernägeln. Nicht nur einer hatte im Nachhinein eine blutige Kratzspur aufzuweisen. Bis sie von der Lehre „Gewalt hilft bei allem“ abkommen, wird es wohl noch einige Zeit dauern.

Ein ebenfalls anderer Fall ist es, wenn die Mutter in den Himmel gelobt wird. „Meine Mutter ist die schönste Frau, die ich kenne. Meine Mutter hat immer Recht. Meine Mutter ist die klügste Frau, die ich kenne. Meine Mutter ist eine Königin.“ Das mag ja ganz süß sein, wenn die Mutter nicht eine Lebensbedrohung für das kleine, zierliche, siebenjährige Mädchen darstellen würde. „Meine Mutter hat mir gesagt, wenn ich zu viel esse, werde ich hässlich. Meine Mutter hat mir gesagt, wenn ich mich gut benehme, werde ich ein sexy Model. Meine Mutter hat gesagt, dass alle Mädchen hier hässlich sind“ Das Mädchen kennt kaum ein Essen beim Namen, kennt kaum Lebensmittel, die zum Kochen verwendet werden. Sie ist so dünn, dass man meinen könnte, sie wäre schon ihr (kurzes) Leben lang auf Diät. In der Nacht hat die Kleine die anderen Mädchen aus dem Zimmer heftig gebissen. „Meine Mutter hat mir gesagt ich soll andere Mädchen beißen.“  Neulich hatte sie eine Nadel in der Hand und hat mit dieser auf ihre Pulsader eingehämmert. Wie kommt ein so kleines Mädchen darauf, genau auf diese Stelle mit einer Nadel einzuschlagen? Als man ihr die Nadel aus der Hand nehmen wollte hat sie angefangen heftig zu weinen und zu schreien, hat auf alles und jeden eingeschlagen. Was genau in ihrem Elternhaus passiert ist wissen wir nicht. Das einzige was wir wissen, dass sie dort viele unschöne Dinge miterlebt und erlernt haben muss von ihrer „göttlichen“ Mutter.

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Und was ist, wenn einem nicht nur Gewalt angetan und gelehrt wird, sondern wenn man auch dazu gezwungen wird sie auszuüben? Auszuüben an seinem eigenen Bruder? Was ist, wenn dein eigener Vater dir und deinem Bruder jeweils ein Messer in die Hand drückt, sich zurücklehnt und ihnen den Befehl gibt: „Und nun kämpft gegeneinander!“, er sich dieses Spektakel genüsslich mit anschaut, anfeuert und, wenn ihm danach ist, auch ein bisschen mitmischt in der Schlacht. Wenn sich Geschwister für das Vergnügen des Vaters heftig und lebensbedrohlich bekämpfen müssen. Ich kann und will mir gar nicht vorstellen, wie jemand zu so etwas in der Lage ist, wie er dazu im Stande ist seine Jungs so zu vernichten. Kann man ihn noch als Vater bezeichnen? Hat er diesen Begriff überhaupt noch verdient? Ich finde diese Geschichte so schrecklich, dass mir gar kein Begriff einfällt, um auszudrücken, wie schrecklich und furchtbar. Ich frage mich, wie Menschen zu so etwas im Stande sind, wie Menschen auf solche Ideen kommen..

Die beiden Jungs leben im Hogar. Sie waren schon immer ziemlich auffällig. Sehr aggressiv und unberechenbar. Sie haben sowohl Kinder, als auch Volontäre manchmal, einfach so, ohne Grund geschlagen. Oftmals sind sie sehr schnell ausgerastet, bei einer Kleinigkeit und haben sich heftig in Rage gesteigert. Sie waren provozierend und zerstörerisch. Ich hab mich immer gefragt, was mit ihnen passiert ist, warum sie so sind, weshalb sie so ticken. Als ich ihre Geschichte gehört habe, hat es mir alles erklärt und einen eisigen Schauer über den Rücken gejagt. Es hat mir erklärt, weshalb die Jungs so ticken. Der ältere der beiden Jungs hat sich in den  letzten Monaten sehr gebessert, er hat die Kurve bekommen. Ist nun ein ruhiger, liebenswürdiger, netter junger Mann geworden. Der andere ist immer noch aggressiv, unberechenbar und zerstörerisch. Er kann weder lesen, noch schreiben oder rechnen. Sein großes Talent liegt beim Zeichnen. Ich hoffe inständig, dass ihn das retten wird, sein Leben und seine Zukunft. Dass sein Vater es nicht geschafft hat, ihm sein Leben zu ruinieren.

 

 

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Ein etwas anderes Themenfeld geben die Straßenkinder ab. Oftmals geflohen aus einem schlechten Elternhaus, werden sie schon in jungen Jahren von der Freiheit, der Eigenständigkeit, den Drogen verführt und von diesem Leben, dem Leben auf der Straße, in den Bann gezogen.  Sie mussten sich schon in frühen Jahren die Fähigkeit sich auf der Straße durchzusetzen, dort zu überleben, aneignen. Straßenkinder sind oftmals sehr gewieft, eigenständig und stark. Ihre Augen strahlen Wildheit, Verwegenheit aus, eine Unbändigkeit und Unabhängigkeit. Gebracht werden sie meistens von der Defensoria, manchmal klopfen sie aber auch aus eigenen Stücken an die Türen des Patios an. Ihnen ist in der Nacht zu kalt, sie haben nichts zu essen, wollen ein Bett, wollen ein kleines bisschen Zuhause erfahren. Diese Phase hält leider meistens nicht lang an. Zu schnell vermissen sie das eigenständige, freie, ungeregelte Leben, das Auflösen der Realität, der Probleme, der Verzweiflung durch Drogen. Es ist schwer ein Straßenkind in seiner Wildheit zu bändigen, ihm klar zu machen, dass er auf der Straße keine schöne Zukunft hat, dass er es im Moment vielleicht vorzieht, aber auf Dauer daran untergehen wird, seine Persönlichkeit, sein Leben damit einfach wegschmeißt, es zerstört. Oftmals klettern die Kinder schon nach ein, zwei Tagen wieder über den Zaun, um „dem Ruf der Straße“ (Zitat: Luise Brosig) zu folgen.

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Er war ein Junge, der schon des Öfteren Zuflucht im Patio gesucht hat. Nie hat er es dort lange ausgehalten, ist nach wenigen Tagen bereits wieder spurlos verschwunden. Dieses Mal sollte es anders werden, anders ausgehen. So hatten wir das alle gehofft. Es war eine deutliche Verbesserung bei ihm zu sehen, wie er sich angepasst hat, dem Heimleben gefügt hat. Er hat bei den Officios ohne Meckern geholfen, hat mit Kindern geredet, die aus dem Patio abhauen wollten, hat ihnen erklärt, dass es besser wäre dort zu bleiben,  nicht dem „Ruf der Straße“ zu folgen. Er hat es dieses Mal lange im Patio ausgehalten. Wir dachten, dass er jetzt auf dem richtigen Weg ist, dass er einsichtig geworden ist, dass es nun eine Zukunft für ihn gibt. Und plötzlich, in einem schwachen Moment, hat ihn die Straße wieder gepackt, seinen Verstand verschlungen, ihn zu sich gerufen..

..Mit Tränen in den Augen klammert er sich oben am Zaun fest, er hat schon beinahe die Stelle erreicht, wo der Zaun in Stacheldraht übergeht. Die Jungs schimpfen ihn, fragen ihn, was das denn soll, befehlen ihn wieder runterzusteigen. Educatoren und Volontäre versuchen mit Verstand auf ihn einzureden, halb verzweifelt, halb enttäuscht. Enttäuscht, wie so etwas passieren konnte, enttäuscht von sich selbst, enttäuscht von ihrer Hoffnung.  Von innen versuche ich ihn vom Zaun runterzuholen, versuche seinen Griff zu lösen. Er klammert sich noch heftiger an den Zaun, klettert noch höher, schreit immer verzweifelter. Er scheint wie in Trance. Alles was wir ihm sagen und erklären, scheint an ihm abzuprallen. Er hört nichts, nichts kommt bei ihm an. Er hat nur die eine Mission: Wieder zurück in die Freiheit. Von außen wartet eine Erzieherin auf ihn, um ihn aufzufangen. Der Junge löst sich vollständig aus meinem Griff, überwindet den Stacheldrahtzaun. Eine scharfe Kante streift sein Gesicht, ritzt ihre Unterschrift in seine Haut, hinterlässt ein rotes Symbol auf seiner Wange. Das Symbol für seine Unbändigkeit und seine Hingabe für die Straße. Als er auf der anderen Seite des Zaunes heruntersteigt, packt ihn die Erzieherin am Arm, versucht ihn zu beruhigen, auf ihn einzureden, ihn irgendwo da drinnen, in seinem dunklen Tunnel, zu erreichen. Nach langer Zeit gibt sie es auf. Lässt ihn los, geht wieder zurück. Der Junge liegt dort, mitten auf der Straße. Das Gesicht verdeckt von seinen Armen. Sein Körper zittert und bebt. Laute, lange Schluchzer erschüttern die Stille, das enttäuschte Schweigen. Ich starte einen letzten Versuch mit ihm zu reden. Doch es kommt nichts an. Traurig fordere ich alle auf reinzugehen und mit dem Alltag weiter zu machen. Als ich das nächste Mal an diese Stelle des Zaunes, der Straße vorbei komme, ist er weg, verschwunden. Das einzige was er hinterlassen hat, ist sein Kapuzenpulli, der dort genau an der Stelle, mitten auf der Straße liegt.

Knapp drei Tage später sind wir alle im Park, spielen fröhlich und unbesorgt mit den Kindern. Auf einmal ruft mir ein Kind zu: „Hey, schau mal wer da ist. Schau mal wer da am Zaun steht. Er ist zurückgekommen.“  Verwirrt drehe ich mich um. Dort steht er, mit zwei  weiteren Jungs, die aus dem Patio abgehauen sind. Sie sind schmutzig, verdreckt, heruntergekommen. Einer wedelt mit einer Flasche vor der Nase der neugierigen Kinder auf der Innenseite des Patios herum. Es ist Klefa, eine Droge der Straßenkinder. Die Jungs rufen den Kindern zu, dass sie doch abhauen sollen, sie haben Klefa und auf der Straße ist es doch so viel besser als im Patio. Ich schau in die Gesichter der drei Jungs, frag mich wo die alten Jungs sind. Die Jungs, die ich kennengelernt habe. Die alten, die vor drei Tagen noch andere Kinder davon überzeugt haben nicht wegzulaufen, ihr Leben nicht für die Straße wegzuschmeißen, die fröhlich rumgetollt sind, Scherze gerissen haben und fröhlich auf dich zu gestürmt sind, um dich zu umarmen. Doch ich sehe nur abgestumpfte Gesichter, die das Zeichen der Droge mit sich tragen. Große, dunkle Augenränder, weit aufgerissene Augen, fahle, blasse, eingefallene Haut. Der Anblick erschüttert mich, ich kann ihn die nächsten Tage nicht loswerden, er verfolgt mich. Ich mach mir dauerhaft Gedanken um die Jungs, frage mich, wie ihre Zukunft aussehen wird, ob sie es irgendwann schaffen sich von der Straße zu lösen.. Immer wenn ich nun auf der Straße entlang geh, hab ich Angst diese Jungs dort zusammengekauert, schnüffelnd an einer Flasche voll Klefa, verdreckt in einer Ecke zu sehen. Ich hab Angst zu sehen, wie sie ihr Leben wegschmeißen ohne etwas dagegen tun zu können, ohne sie mit meinen Worten erreichen zu können..

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beide

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.. es sind Geschichten von Kindern. Von Kindern, die wirken wie jedes andere Kind. Kinder, die oftmals nicht erfahren durften, was es bedeudet eine Familie zu haben, ein Zuhause, Vertrautheit und Unterstützung. Kinder, die in jungen Jahren schon zu viel erleben mussten, die in frühen Jahren schon zu stark sein mussten. Kinder, denen man die schwere Last, die sie auf ihren Schultern tragen, nicht ansieht. Immer wenn ich solche Geschichten höre, wird mir bewusst, wie viel Glück ich in meinem Leben gehabt hab, wie schön und einfach doch mein Leben bis jetzt war und wie klein meine Probleme sind. Man lernt es noch mal mehr Wert zu schätzen eine Familie zu haben auf die man zählen kann, die einen unterstützt und immer zur Seite steht.

Ich bewundere diese Kinder, habe Angst um sie und hoffe für diese Kinder. Hoffe, dass sie irgendwann auch nochmal den Begriff Familie erfahren dürfen..

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Thema von Anders Norén.