Raj1

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Meine Familie besteht aus zwei älteren Brüdern, zwei Schwestern, meinem Vater, meiner Mutter und mir. Als ich in der ersten Klasse war, habe ich meine Mutter verloren. Sie war vermutlich auch HIV positiv, aber ganz sicher weiß ich es nicht. Auch meine beiden Brüder starben, als ich noch jung war. Als meine ältere Schwester 17 oder 18 Jahre alt war, ist sie mit einem Jungen von zu Hause abgehauen. Ich habe nie wieder von ihr gehört.

Ich hatte immer eine engere Beziehung zu meinem Vater, als zu meiner Mutter. Eines Tages, als ich noch sehr klein war, musste mein Vater sich übergeben, als er gerade Tee trank. Einige Verwandte brachten ihn ins Krankenhaus, während meine Schwester mit mir zu Hause blieb. Wir dachten immer, dass unser Vater zurückkommen würde, aber er kam nie. Er starb im Krankenhaus.

Meine Schwester und ich lebten in diesem Haus für ein weiteres Jahr. Dann kam eine Flut und riss alles fort. Wir verloren alles Hab und Gut, unsere Heimat und ein Dach über dem Kopf. Also errichteten wir eine Hütte am Straßenrand und lebten dort. In dieser Zeit ging ich nicht zur Schule. Ich kann mich nicht daran erinnern, wie wir lebten und überlebten.

Generell ist dieser Teil meines Lebens aus meinem Gedächtnis verschwunden. Alles, was ich darüber weiß, hat mir meine Schwester erzählt.

In dem Dorf, in dem wir lebten, gab es eine Art Bürgermeister, der sich uns annahm und uns schließlich in ein Hostel nach Trichy brachte. Als ich im Hostel war, wurde ich immer wieder krank. So haben sie schließlich herausgefunden, dass ich positiv bin. Damals war ich vielleicht sieben, ich bin mir nicht mehr ganz sicher. In diesem Hostel sind wir für sieben Jahre geblieben. Da es eigentlich ein Hostel nur für Mädchen ist, durfte ich als Junge nur bis zur 5. Klasse dort bleiben. Weil ich mit der Schule erst so spät angefangen habe, war ich immer älter, als meine Mitschüler. Aber ich habe gut und schnell gelernt, weswegen ich die vierte übersprungen habe.

Schließlich wurde ich von den Schwestern des Hostels in das Don Bosco Care Home gebracht. Meine Schwester ist in Trichy geblieben. Sie ist negativ. Trotzdem ist sie die Person, die mir am nächsten steht und mich immer unterstützt.

Damals in Trichy hatten wir kaum Regeln. Da gab es einen Schulbus, das war’s. Ich hatte einen freien Zeitplan mit viel Freizeit. Ich konnte baden, wann ich wollte, schlafen, essen,…

Hier im Care Home habe ich eine Menge Regeln und einen festen Zeitplan. Aber ich kann verstehen, dass es diese Regeln braucht.

Mein größter Wunsch ist es, zur Army zu gehen. Aber das ist wegen meiner Krankheit wahrscheinlich nicht möglich. Also werde ich viel lernen, um so später einen guten Job zu bekommen. Dann will ich mir ein Haus bauen und einfach glücklich sein. Wenn ich dann irgendwann reich bin, werde ich anderen helfen, die in der gleichen Situation sind, wie ich es bin.

Abschließend möchte ich sagen, dass es keine Zeit in meinem Leben gegeben hat, in der ich wirklich traurig war, aber auch keine, in der ich glücklich war. Wenn ich an meine Vergangenheit denke, fühle ich nichts…

 

1 Name wurde aus Datenschutzgründen geändert

 

Hier noch eine kleine Anmerkung von uns:

Bei den Interviews mit den Jungs, haben wir versucht, sie größtenteils frei über ihre Vergangenheit erzählen lassen und nur bei Unklarheiten einige Nachfragen gestellt. Außerdem haben wir versucht, die Übersetzung so nahe wie möglich am Original zu halten.

Hierbei hat jeder der Jungs seine eigene Art des Erzählens, in welcher sich für uns ganz stark der Charakter und die Persönlichkeit wiederspiegelt, in denen die Vergangenheit tiefe Spuren hinterlassen hat.